Tourexpi
Das ATV besteht aus
27 Verbänden, die alle Bereiche der facettenreichen
Tourismusbranche vertreten. Unser Ziel ist es, die Gesamtheit des
Tourismus zu bewahren und eine gerechte Förderung für alle
Marktteilnehmer in der Branche zu erreichen, um die Integrität unseres
Netzwerks auch in Zukunft zu gewährleisten.
Momentan arbeitet die
Europäische Kommission an einer Revision der Pauschalreiserichtlinie (Richtlinie
(EU) 2015/2302). Vor diesem Hintergrund möchten wir Ihnen im Folgenden
gerne unsere Einschätzung der derzeitigen Richtlinie vorstellen. Wir
möchten dabei bestimmte Aspekte hervorheben, bei denen wir uns für
Anpassungen im Rahmen der Überprüfung der Pauschalreiserichtlinie durch
die Europäische Kommission aussprechen.
Bereits in der
Vergangenheit hat die Umsetzung der EU-Pauschalreiserichtlinie zu
erheblichen Auflagen und regulatorischen Anforderungen für Reisebüros
und Reiseveranstalter geführt. Bei der derzeitigen Überarbeitung der
Pauschalreiserichtlinie sollte daher insbesondere darauf geachtet werden,
den bürokratischen Aufwand für Unternehmen nicht durch vermeidbare
Regularien weiter zu erhöhen. Der Fokus sollte vielmehr auf notwendigen
Anpassungen und praktikablen Lösungen in den rechtlichen Bereichen liegen,
wo die Erfahrung zeigt, dass diese in besonderem Maße
erforderlich geworden sind.
1. Klarstellung der
Reiserücktrittsrechte bei außergewöhnlichen Umständen
Die bestehenden
Regelungen der Pauschalreiserichtlinie zu Reiserücktrittsrechten sind
nicht hinreichend klar formuliert und sollten im Zuge der .berprüfung
angepasst werden. Besonders während der Corona-Pandemie haben zahlreiche
Reisende aufgrund unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände gemäß Art.12
(2) der Richtlinie (EU) 2015/2302 und § 651h (3) BGB von ihren gebuchten
Reisen zurücktreten müssen. Die Rechtsprechung hat bisher keine
einheitliche und abschließende Klärung darüber gefunden, ab welchem
Zeitpunkt während einer langanhaltenden Pandemie keine
“unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände” mehr vorliegen, wenn die
Reisenden über die Pandemie-Bedingungen und die damit verbundenen Risiken
informiert sind. In den meisten Fällen entscheiden die Gerichte derzeit
zugunsten der Verbraucher.
Bei langanhaltenden
Pandemien oder Risiken sollte das Kostenrisiko allerdings nicht allein den
Reiseveranstaltern auferlegt werden. Die Rückerstattungen für
stornierte Reisen an eine große Anzahl von Kunden können für
Reiseveranstalter enorme finanzielle Belastungen darstellen, die sich
existenzbedrohlich auswirken können. Insbesondere, da Reiseveranstalter
dazu verpflichtet sind, Kundengelder innerhalb von 14 Tagen
zurückzuerstatten, selbst dann, wenn der Veranstalter das Geld für die
inkludierte Transportleistung von der Fluggesellschaft noch nicht
zurückerhalten hat, was insbesondere während der Corona-Pandemie zu
erheblichen Liquiditätsproblemen auf Seiten der Reiseveranstalter geführt
hat (s. Kapitel 2 & 3). Überdies haben die Reiseveranstalter den
Reiserücktritt nicht zu verantworten während gleichzeitig davon
ausgegangen werden kann, dass Kunden ab einer bestimmten Dauer der
Pandemie über pandemiebedingte Einschränkungen und Risiken informiert
sind.
Es ist daher
erforderlich, im Zuge der Überarbeitung der Pauschalreiserichtlinie zu
definieren, ab welchem Zeitpunkt sich Reisende nicht mehr auf
unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände berufen können. Es sollte als
wesentliche Voraussetzung für einen kostenfreien Reiserücktritt aufgrund
von unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umständen angesehen werden, dass
diese dem Verbraucher zum Zeitpunkt der Buchung nicht bekannt waren.
Ein solches
Wissenskriterium wird bereits seit langem mit fairen und gerechten
Ergebnissen in anderen Bereichen angewandt. Im gleichen Zuge sollte
Klarheit über die Auswirkungen offizieller Reisewarnungen geschaffen
werden, insbesondere in Bezug auf ihre rechtliche Wirkung in Verbindung
mit Reiserücktritten aufgrund unvermeidbarer und außergewöhnlicher
Umstände. Es ist wichtig festzulegen, welche staatlichen
Reisehinweise hierbei maßgeblich sind und wie stark sie sich auf
Rücktritts- und Erstattungsrechte auswirken sollten. Wenn staatliche
Reisehinweise als Grundlage für solche Rechte dienen, sollte zudem eine
EU-weite Harmonisierung der Kriterien dieser Hinweise erfolgen.
Abseits hiervon hat
die weltweite Pandemie zudem zum Zusammenbruch des globalen Reisemarktes
geführt, mit stark eingeschränktem oder eingestelltem
touristischem Reiseverkehr. Wie sich zeigte, tragen Reiseveranstalter in
diesen Fällen gegenwärtig einseitig die mit dem Reisen verbundenen
Risiken, während die Risikoverteilung zwischen den Akteuren ungleicher
Natur ist. Dies führte zu finanziellen Schwierigkeiten, Insolvenzen und
Problemen bei Rückerstattungen an Verbraucher. Die Regelungen der
Pauschalreiserichtlinie sind für solch eine globale Krise nicht ausgelegt und
erschwerten in Konsequenz die Liquiditätssituation der Reiseanbieter in
der Krise erheblich. Es ist unserer Ansicht nach erforderlich, im Zuge der
Überprüfung der Pauschalreiserichtlinie die Risikoverteilung künftig
gerechter zu gestalten und Lösungen für solch außergewöhnliche
Situationen des Marktversagens zu finden. Eine mögliche Maßnahme könnte
die Aussetzung von Rückerstattungsverpflichtungen während
des Krisenzeitraums und darüber hinaus sein, bis sich der Markt erholt
hat.
2. Anpassung von
Pauschalreiserichtlinie und Fluggastrechteverordnung
Gemäß den
gesetzlichen Vorgaben der Pauschalreiserichtlinie ist ein
Reiseveranstalter verpflichtet, Kundengelder innerhalb von 14 Tagen
zurückzuerstatten, selbst wenn der Veranstalter das Geld für die
inkludierte Transportleistung von der Fluggesellschaft noch nicht
zurückerhalten hat. Während der Corona-Pandemie hat dieser Umstand zu
erheblichen Problemen geführt. Um dem zukünftig entgegenzuwirken,
ist eine Anpassung der Fluggastrechteverordnung (EG) Nr. 261/2004 erforderlich,
die auch im B2B-Bereich Anwendung findet. Veranstalter sollten nicht
gezwungen sein, Kunden auszuzahlen, bevor sie Erstattung von der
Fluggesellschaft erhalten haben. Darüber hinaus haftet der Veranstalter
derzeit im Falle einer Insolvenz der Fluggesellschaft in vollem Umfang
gegenüber dem Kunden, ohne dass die Zahlung an die
Fluggesellschaft abgesichert ist.
Überdies sind
Fluggesellschaften im Rahmen der Fluggastrechteverordnung nur
zur Erstattung bei Stornierung des Fluges durch die Fluggesellschaft
verpflichtet. Diese derzeitige Inkohärenz zwischen der
Pauschalreiserichtlinie und der Fluggastrechteverordnung hinsichtlich
Kündigungs- und Erstattungsrechten bei “unvermeidbaren
und außergewöhnlichen Umständen” stellt ein erhebliches Hindernis für den
Schutz der Verbraucherrechte und den fairen Wettbewerb dar. Eine
einheitliche Regelung entlang der Erstattungsvorgaben der
Pauschalreiserichtlinie zur Vermeidung unfairen finanziellen Risikos bei
Rückerstattungen für Pauschalreiseveranstalter ist daher
dringend erforderlich.
Vor diesem
Hintergrund schlagen wir folgende Maßnahmen vor:
a) Die International
Air Transport Association (IATA) spielt eine wichtige Rolle
als Abrechnungsstelle im Reiseverkehr. Um eine sofortige Rückerstattung
zu gewährleisten, könnten Fluggesellschaften dazu verpflichtet werden,
ihre Kundengelder ebenfalls bei der IATA abzusichern, etwa über eine
Treuhandvereinbarung. In einem solchen Szenario würde die IATA die Gelder
erst nach Abschluss der Reise an die Fluggesellschaft überweisen und
gegebenenfalls Rückerstattungen an die Verbraucher leisten.
b) Fluggesellschaften
sollten im Rahmen einer Transparenzpflicht dazu verpflichtet werden,
Informationen über die Art, Anzahl und Bearbeitungszeit von
Beschwerden offenzulegen. Dadurch hätten Verbraucher vor der Buchung
die Möglichkeit, Informationen darüber einzuholen, wie eine
Fluggesellschaft im Falle von Problemen handelt. Eine Transparenzpflicht
ermöglicht zudem die Identifizierung von Auffälligkeiten auf dem
Anbietermarkt, auf deren Grundlage gegebenenfalls staatliche Sanktionen
verhängt werden können.
c) Es besteht eine
Haftungslücke zwischen der Pauschalreiserichtlinie und der
EUVerordnung Nr. 261/2004 über Fluggastrechte, da die
Pauschalreiserichtlinie Verbrauchern im Falle einer “freiwilligen
Stornierung” unter “unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umständen” eine
Erstattung ermöglicht, während die Fluggastrechteverordnung die
Fluggesellschaften nur zur Erstattung bei Stornierung durch die
Fluggesellschaft verpflichtet. Entsprechend sollte die
EU-Verordnung 261/2004 dahingehend angepasst werden diese Haftungslücke
zu schließen, um Verbrauchern und/oder Veranstaltern von Pauschalreisen
eine vollständige Erstattung zu ermöglichen, wenn der Verbraucher aufgrund
von “unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umständen” storniert hat.
3. Anpassung der
Erstattungsfristen für Leistungserbringer
Damit
Pauschalreiseanbieter in der Lage sind, fristgerechte Rückzahlungen zu
leisten, müssen sie selbst rechtzeitig Erstattungen von Leistungsträgern
wie Fluggesellschaften oder Hotels erhalten. Dies ist während der Pandemie
nicht in ausreichendem Maße geschehen. Um die finanzielle Belastung für
Reiseveranstalter zu reduzieren, sollten diese nun im Rahmen der
.berprüfung der Pauschalreiserichtlinie Anspruch auf Erstattungen von
Leistungserbringern innerhalb einer festgelegten Frist erhalten.
Für
Pauschalreiseverträge, die aufgrund unvermeidbarer und außergewöhnlicher
Umstände beendet
werden, gilt eine Erstattungsfrist von 14 Tagen ab Vertragsbeendigung. Diese
Frist steht im Einklang mit anderen EU-Verbraucherschutzvorschriften.
Im Gegensatz dazu variieren jedoch die Erstattungsfristen für
eigenständige Tickets, die vom Beförderungsdienstleister storniert werden,
je nach Verkehrsmittel zwischen sieben Tagen und einem Monat. Es sollte
jedoch aufgrund der oben aufgeführten Gründe eine einheitliche
Erstattungsfrist von 14 Tagen auch für alle eigenständigen
Tickets eingeführt werden, unabhängig vom jeweiligen Verkehrsmittel.
Es muss zudem klar
festgelegt werden, dass auch Leistungsträger wie
Fluggesellschaften, Fähren etc. bei der Nichtdurchführbarkeit einer Reise
aufgrund einer Reisewarnung zur Stornierung und Rückerstattung
verpflichtet sind, selbst wenn der eigentliche Transport technisch möglich
wäre, aber beispielsweise eine Einreise nicht gestattet ist.
4.
Vorauszahlungsregelung bei Pauschalreisen
Im Rahmen der
aktuellen Überarbeitung der Pauschalreiserichtlinie wird die
Möglichkeit einer Begrenzung von Vorauszahlungen für Verbraucher
untersucht, um die Gelder der Verbraucher zu schützen und das Risiko von
verzögerten Erstattungen zu verringern. Es ist jedoch wichtig zu beachten,
dass die Einführung einer solchen Beschränkung für Reiseveranstalter zu
erheblichem Liquiditätsdruck führen könnte, ohne die eigentliche Quelle
des Risikos für die Gelder der Verbraucher anzugehen.
Wir sprechen uns
daher deutlich gegen die Abschaffung von Vorauszahlungen für
Pauschalreisen aus. Aufgrund der vielfältigen existierenden
Geschäftsmodelle wäre es problematisch, Vorauszahlungen zu verbieten oder
einzuschränken.
5. Zur Kategorie der
verbundenen Reiseleistungen – §651w BGB
Im Rahmen der
derzeitigen Informationspflichten gemäß §651w BGB bei
Einzelleistungen werden dem Verbraucher alle relevanten Informationen
über die angebotenen Leistungen und seine wichtigsten Rechte mitgeteilt.
Punktuell erweisen sich diese Informationspflichten jedoch nicht als
zielführend, da Verbraucher in der Regel bereits zum Zeitpunkt der
Information ihre Entscheidung zur Buchung der Einzelleistungen getroffen
haben. Beispielsweise bietet der Hinweis darauf, dass es sich nicht um
eine Pauschalreise handelt, in solchen Szenarien keinen Mehrwert.
Stattdessen hat die Einführung der Kategorie der Vermittlung verbundener
Reiseleistungen letztendlich zu erhöhten Kosten geführt, da sowohl online
als auch offline ein unverhältnismäßig hoher Aufwand für die
Informationsübermittlung bei Buchungen erforderlich ist. Die vom
Gesetzgeber geschaffene dritte Kategorie zwischen der bloßen Vermittlung von
Reiseleistungen und der Veranstaltung von Pauschalreisen sollte daher unserer
Ansicht nach überprüft werden.
Unberührt hiervon
ist es bei Beibehaltung wichtig, innerhalb der Definition der
„verbundenen Reiseleistungen“ den Begriff des “einzigen Besuchs oder
Kontakts” gemäß Artikel 3.5.a der Pauschalreiserichtlinie zu klären, um
sicherzustellen, dass Situationen ausgeschlossen werden, in denen ein
Verbraucher lediglich durch eine Website scrollt oder Tabs verwendet, um zusätzliche
Einkäufe zu tätigen. Es sollte im Rahmen der Überprüfung der
Pauschalreiserichtlinie ein einheitlicher Zeitrahmen festgelegt werden, um
rechtlich eindeutig klarzustellen, wann ein Besuch besteht und endet.
Das Konzept der “gezielten” Erleichterung verbundener Reiseleistungen
gemäß Artikel 3.5.b für Unternehmen und Durchsetzungsbehörden ist schwer
verständlich. Dies hat zu unterschiedlichen Interpretationen der
Bestimmungen geführt. Daher wird empfohlen, diese Anforderung zu
überdenken und gegebenenfalls zu streichen, da sie in ihrer derzeitigen
Form keinen effektiven Verbraucherschutz bietet.
Überdies sprechen wir
uns deutlich dagegen aus, den Anwendungsbereich von Pauschalreisen zu
erweitern. Eine solche Erweiterung würde eine unzumutbare Belastung für
Reiseunternehmen darstellen und sollte daher vermieden werden.
6. Verbesserungen bei
der Definition von Vermittlern und Pauschalreisen sowie Regulierung im
B2B-Bereich
Trotz des Ziels, die
Unterscheidung zwischen einem Vermittler und einem Reiseveranstalter objektiv
und unabhängig von Kundeneindrücken vorzunehmen, bestehen nach wie vor
Zweifel und Unklarheiten bezüglich ihrer Definitionen. Eine weitere
Präzisierung der Definitionen ist empfehlenswert, um die Schaffung neuer
und innovativer Geschäftsmodelle zu ermöglichen, die unserer Erfahrung
nach oft nicht umgesetzt werden, da das Risiko, als Veranstalter
eingestuft zu werden, zu hoch ist. Wenn die Richtlinien zur Beurteilung
eines Geschäftsmodells mit Unsicherheiten und Unklarheiten behaftet sind,
wird hierdurch die Durchsetzung von Innovationen in der Reisebranche in
der Europäischen Union empfindlich eingeschränkt.
Wir vertreten
überdies die Ansicht, dass die Regelungen der Pauschalreiserichtlinie den
B2B-Bereich nicht betreffen sollten. In ihrer aktuellen Form besagt die
Pauschalreiserichtlinie jedoch, dass auch MICE-Buchungen (Meetings, Incentives,
Conferences, Exhibitions) unter die Regelungen fallen, wenn ein Unternehmen
direkter Kunde einer Agentur ist, es sei denn, es bestehen “Rahmenverträge”
zwischen dem Unternehmen und der Agentur. Diese Regelung ist aus unserer
Sicht nicht ausreichend klar definiert, so bleibt etwa offen, wie
„Rahmenverträge“ zu verstehen sind. Im B2B-Geschäft sollte überdies
weiterhin die Vertragsfreiheit gewahrt bleiben: Mithin sollte sich das
Pauschalreiserecht nur auf Verbraucher und nicht auf Unternehmen
erstrecken, auch wenn ein Unternehmen “Konsument der Reise” ist.
Bildnachweis: © AA
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